Jatropha – der Wunderbusch? FIAN-Berlin betreut neuen Fall in Indien

Längst sind Agrarkraftstoffe in die Kritik geraten, weil die Pflanzen, aus denen sie gewonnen werden, wertvolles Ackerland und Weideflächen vereinnahmen, die zur Versorgung der Menschen in den Produktionsländern dringend gebraucht würden. Dann plötzlich die scheinbare Lösung: Die Purgiernuss. Sie kann auch auf ausgelaugten Böden und ohne regelmäßige Niederschläge überleben, weshalb eine Flächenkonkurrenz zu Nahrungsmitteln angeblich nicht bestehe.
Die unter dem Fachnamen Jatropha curcas bekannte Pflanze stammt ursprünglich aus Mittelamerika, breitete sich durch Seefahrer jedoch bis nach Südamerika, Afrika und Asien aus und gilt heute als eine der effektivsten technisch nutzbaren Pflanzen. Diesen Ruf hat sie freilich nicht ihrer lokalen Nutzung als Abführmittel, für Seifen und Öllampen zu verdanken, sondern der Tatsache, dass aus dem Öl der giftigen Pflanze Agrartreibstoff gewonnen werden kann.

Jatrophaanbau in Indien

In Indien wird Jatropha schon seit Langem angepflanzt. Einerseits werden aus der Pflanze Dinge für den alltäglichen Gebrauch wie z. B. Lampenöl gewonnen, andererseits dient die Pflanze als Begrenzung für Weizen- und Reisfelder.
Wie in vielen Industrie- und Schwellenländern ist auch in Indien die Endlichkeit der Kraftstoffreserven als Problem erkannt worden. Die indische Regierung setzt daher frühzeitig auf so genannte erneuerbare Energien: Bis 2017 soll die Beimischungsquote von 20% erreicht werden. Angetrieben von dem Ziel, möglichst bald weitgehend unabhängig von Kraftstoffimporten zu sein, hat sich Indien zum weltweit größten Produktionsland von Pflanzenölen entwickelt. Dabei setzt auch das staatliche Biofuel Board des indischen Bundesstaates Uttarakhand besonders auf Jatropha .
Aufgabe des Biofuel Board ist es, die Gewinnung von Agrartreibstoffen zu fördern. Einerseits sollen bäuerliche Haushalte überzeugt werden, Pflanzen anzubauen, aus denen Treibstoffe gewonnen werden können. Dies soll vor allem mit Hilfe von Verträgen über Saatgutlieferungen und eine gesicherte Abnahme der Ernte gefördert werden. Andererseits wird der Agrartreibstoffsektor dadurch gefördert, dass entsprechende Energiepflanzen auf staatlichen Flächen, auf Waldfläche oder auf öffentlichem Gemeindeland (Panchayat land) angebaut werden.
Aktuell werden Regionalverwaltungen damit beauftragt, degradierte und qualitativ minderwertige Flächen zu ermitteln, die an Unternehmen, Dorfgemeinschaften und Gruppen verpachtet werden sollen, um Jatropha anzubauen. Diese Vorgänge beruhen auf dem Mythos, Jatropha könne auch ohne fruchtbares Land und mit wenig Wasser ertragreich angebaut werden. Tatsächlich braucht auch der Jatrophabusch ausreichend Nährstoffe und Wasser, um gute Erträge zu liefern. Selbst beim Anbau unter guten Bedingungen – beispielsweise auf den gut bewässerten und gedüngten Versuchsflächen des International Crops Research Institute for the Semi-Arid Tropics (ICRISAT) – dauert es jedoch etwa fünf Jahre bis zur Ernte der für den Agrartreibstoffproduktion verwendeten Jatropha-Nüsse. So warnt auch der Leiter der Jatrophaversuche am ICRISAT, Dr. Suhar P. Wani, davor, die Wirtschaft habe die Wissenschaft überholt. Um wirklich sicher zu gehen, dass der Anbau von Jatropha als Treibstoffquelle nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion steht, brauche es zunächst ausgiebige Forschung.
Diese Warnungen werden ignoriert. Einen klaren Ausschluss der Gebiete, die sich für Beweidung und Nahrungsmittelanbau eignen, geben die Bestimmungen, die der Landsuche der Regionalverwaltungen zu Grunde liegen, nicht her. Dreizehn Millionen Hektar so genanntes „wasteland“ (marginale Flächen) will der indische Staat gefunden haben. Auf dieser Fläche sollen in den kommenden Jahren Agrartreibstoffpflanzen angebaut werden. Das grundsätzliche Problem ist die Frage nach der Kategorisierung von Land in Indien. Waldgebiete dürfen explizit nicht als Ackerland benutzt werden. Diese Bestimmungen werden jedoch oft übergangen. Alternativ werden die Energiepflanzen als Bäume und somit als Wald definiert. Eine klare Definition und Eingrenzung des Begriffs „wasteland“ gibt es in Indien bisher nicht. So kommt es zu Landrechtskonflikten und Vertreibungen. Viele der 170 Mio. Landlosen in Indien, die auf die öffentlichen Gemeindeflächen angewiesen sind, um dort Brennholz zu sammeln oder ihr Vieh dort weiden zu lassen, sind von der Jatropha-Förderpolitik der indischen Regierung bedroht. Der Ausverkauf dieser Flächen für den Anbau von Jatropha hat fatale Konsequenzen für die Menschen. Hinzu kommt die Verschuldung kleinbäuerlicher Haushalte, die sich auf den Anbau von Jatropha einlassen, da die Pflanzen oft erst nach mehreren Jahren erste Erträge bringen.
Nicht nur die Eigenversorgung mit Agrartreibstoffen ist erklärtes Ziel der indischen Regierung. Auch ausländische Konzerne, die für den Export produzieren, kommen unter der indischen Agrartreibstoffpolitik auf ihre Kosten. So strebt beispielsweise das britische Unternehmen D1 Oil die Verarbeitung für den Weltmarkt an und setzt neben Pflanzungen in Afrika und Südamerika auch auf umfangreichen monokulturellen Anbau von Energiepflanzen in der Mehrzahl der 28 Bundesstaaten Indiens. Auch Archer Daniels Midland (ADM) aus den USA arbeitet zusammen mit seinem indischen Partner Tinna Oils & Chemicals Ltd. an der Herstellung von Jatropha-Diesel. Weitere Kooperationspartner von ADM sind die Daimler AG und Bayer CropScience, letztere Firma vor allem bei der Erforschung und Herstellung von Herbiziden, Insektiziden und Fungiziden für den Jatrophaanbau. Ein weiterer Investor in den großflächigen Anbau der Jatrophapflanze ist das Unternehmen IKF Green Fuel, ein Tochterunternehmen der IKF Technologies aus Frankfurt/Main. Zusammen mit lokalen Firmen arbeitet IKF Green Fuel in den nordindischen Bundesstaaten Jarkhand und Orissa an Jatropha-Anpflanzungen auf 30.000 Hektar bis Ende 2009. Auch in weiteren 14 Bundesstaaten sind der Anbau und die Verarbeitung von Jatropha geplant.

Menschenrechtsverletzungen in Joligrant
Der Ort Joligrant liegt in Uttarakhand, einem relativ neuen Bundesstaat im Norden Indiens, der noch bis 2000 zu Uttar Pradesh gehörte. Die Bewohner/innen des Dorfes leben hauptsächlich von Viehhaltung zur Milchproduktion. Seit 2007 fördert die Regierung in Uttarakhand den Jatrophaanbau, v. a. in Waldgebieten. Das Dorf Joligrant verfügt über 767,5 ha landwirtschaftlich genutztes Land, 20 ha von der gewählten Gemeindeführung (Gran Panchayat) verwaltetes öffentliches Gemeindeland und 30 ha Waldgebiet. Sowohl auf den Gemeindeflächen als auch auf bisherigem Waldgebiet wurde Jatropha angepflanzt. Das Waldgebiet des Dorfes ist für das Leben der Menschen von Bedeutung, da es Feuerholz liefert und als Weidefläche besonders dem Vieh derer Weideflächen bietet, die nicht über eigenes Land verfügen. Letzteres gilt auch für das öffentliche Gemeindeland.
Aufgrund der negativen Auswirkungen auf ihre Lebensweise und ihre Nahrungsmittelversorgung hatten sich einige Dorfbewohner an FIAN Uttar Pradesh gewandt, um Unterstützung zu erhalten. Um auch über die Grenzen Indiens hinaus, in Deutschland – einem der Hauptimportländer von Agrartreibstoffen – ein Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Tankfüllungen in Industrieländern und Menschenrechts-verletzungen in Entwicklungsländern zu schaffen, hat die Berliner FIAN-Gruppe die Betreuung des Falls übernommen.
Die Forderungen, in denen FIAN die Dorfbewohner/innen unterstützt, sind:

  • Zugang zum Waldgebiet und zu den Gemeindeweideflächen
  • Keine Gefährdung der Ernährungssicherheit der Bevölkerung durch Jatrophaanbau
  • Entschädigung für die Familien, die bereits betroffen sind