Artikel zum Thema Agrarreform

23. November 2015 | Buen Vivir in Ecuador? Die Debatte um das neue Landgesetz und die Kriminalisierung von sozialen Bewegungen

Termin: Montag, 23. November 2015, 19 Uhr
Ort: Veranstaltungsraum im FDCL, Aufgang 3, 5. Stock, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin

Vortrag mit Milton Yulán, Anwalt aus Ecuador und Mitglied von FIAN Ecuador

Die Widersprüche zwischen Neo-Extraktivismus, d.h. einer auf Raubbau und Rohstoffausbeutung basierenden Wirtschaft, und den Ansprüchen alternativer Entwicklungsmodelle, wie sie im Konzept des Buen Vivir zum Ausdruck kommen, haben sich in den letzten Monaten in Ecuador zugespitzt. Die zunehmend extraktivistische Wirtschaftspolitik Correas hat sich durch das 2014 unterzeichnete Freihandelsabkommen mit der EU nochmals verschärft. Hierbei werden auch die in der Verfassung festgeschriebenen Rechte, wie das auf Nahrung, Land und Wasser, massiv bedroht. Wer sich für diese Rechte einsetzt, muss zunehmend mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Öffentliche Proteste, wie der im August von der indigenen Dachorganisation CONAIE einberufene Protestmarsch, werden kriminalisiert und unterdrückt.

Milton Yulán wird auf diese Ereignisse und die Debatte um das Buen Vivir eingehen. Im Vordergrund wird die menschenrechtliche Analyse des von der Regierung vorgelegten Landgesetzes (Ley de Tierras) stehen.

Hintergrund

2008 hat Ecuador eine der fortschrittlichsten Verfassungen weltweit verabschiedet. Unter dem Konzept des Buen Vivir (indigenes Konzept für ein erfülltes und ganzheitliches ‚Gutes Leben‘) sind Rechte auf Nahrung, Land und Wasser verankert. Einzigartig ist hierbei, dass auch der Natur ein Recht eingeräumt wird. Hiermit wird den indigenen und kleinbäuerlichen Lebensweisen und Kulturen Rechnung getragen. Jedoch mangelt es bis zum heutigen Tag am politischen Willen diese Rechte umzusetzen. Die tatsächlichen Fortschritte im Bereich der Ernährungssouveränität und Landumverteilung sind ernüchternd. Paradoxerweise werden gerade KleinbäuerInnen und Indigene zunehmend verfolgt, wenn sie den gemeinschaftlichen Zugang zu Land und Wasser verteidigen und ihr Recht auf Nahrung einfordern.

Zur Person

Milton Yulán ist ecuadorianischer Anwalt der Bauernorganisation Tierra y Vida, Mitglied von FIAN Ecuador und Vorstandsmitglied von FIAN International. Er hat 2015 anhand der freiwilligen Land-Leitlinien der FAO eine menschenrechtliche Analyse des Regierungsvorschlages einer Landgesetzgebung erarbeitet.

Eine Veranstaltung von FIAN FoodFirst Informations- und Aktionsnetzwerk, FDCL Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika, Lateinamerika-Forum Berlin (LAF)

Weiterführende Informationen

Kundgebung zum Tag der Landlosen

Hier zwei Bilder von unserer Kundgebung zum Tag der Landlosen (draufklicken, um sie in voller Größe zu betrachten) – einer Aktion vor der paraguayischen Botschaft zur Unterstützung der Forderung auf Landrechte des Volkes der Sawhoyamaxa. Mehr dazu

Tag der Land­lo­sen 2009 Tag der Land­lo­sen 2009

Kritischer Besuch bei der Konrad-Adenauer-Stiftung

Am 24./25. April 2008 veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft ein Symposium zum Thema „Kriminalität und Gewalt als Herausforderungen für die Demokratie in Brasilien“. Erster eingeladener Redner aus Brasilien war eben jener Paulo Sette Câmara, der als Staatssekretär für Öffentliche Sicherheit in Pará für das Massaker von Eldorado dos Carajás verantwortlich gewesen war, an das wir mit den Aktionen zum Tag der Landlosen exakt eine Woche vorher erinnert hatten.

FIAN unterstützte mit einer Pressemitteilung die an die Konrad-Adenauer-Stiftung gerichtete Protestnote von Bischof Dom Xavier Gilles, Präsident der brasilianischen Landpastorale (Comissão Pastoral da Terra CPT). Die Berliner FIAN-Gruppe war mit 2 Mitgliedern vor Ort, nahm an der Veranstaltung teil und verteilte die Pressemitteilung vor dem Eingang zum Tagungshotel. Sie wurde von vielen Teilnehmern mit Interesse entgegengenommen, einige unterstützten uns explizit.

Durch eine Pressemitteilung des FDCL (Forschungs- und Dokumentatioszentrum Lateinamerika), der KoBra (Koordination der Brasilien-Solidaritätsgruppen) und den Amigos do MST (Freunde der Landlosenbewegung), die einige Tage vorher rauskam, war das Thema einigen schon bekannt und hatte auch Rückhall in der Presse gefunden (mehr dazu unter http://fdcl-berlin.de/index.php?id=1400). Man merkte denn auch während der Veranstaltung, dass die Konrad-Adenauer-Stiftung das Thema zwar nie explizit ansprach, sich aber ständig verteidigte: Man wolle ja keinen historischen Blick zurück werfen, sondern in die Zukunft blicken – die Überlebenden des Massakers haben aber heute noch mit den Erinnerungen zu kämpfen, die versprochene staatliche Unterstützung finanzieller Art ist ausgeblieben und es gibt Familien, die durch das Massaker ihren Ernährer verloren haben. Angesichts der schwierigen sozialen und politischen Lage in Brasilien sei es wichtig, mit den Vertretern der relevanten Institutionen in Brasilien in Dialog zu treten und die Polizeiarbeit zu verbessern.

Das ist von uns ja auch nie kritisiert worden, aber ein offener Dialog muss auch den Finger in die bestehenden Wunden legen. Zur Stärkung der Demokratie in Brasilien braucht es vor allem eine Ende der Gewalt und der Kriminalisierung gegen die sozialen Bewegungen und Menschenrechtsverteidiger, sowie die Überwindung der herrschenden Straflosigkeit.

Sette Câmara selbst zeigte immerhin, dass es ihm peinlich war, durch Fragen von uns und einer Journalistin auf seine Verantwortung für das Massaker angesprochen zu werden. In seinem Vortrag behielt er jedoch eine sehr kritische Haltung zu den sozialen Bewegungen, die zwar berechtigte Forderungen verträten, aber den Bogen seiner Meinung nach oft überspannten und die öffentliche Ordnung störten. Kein Wort davon, dass das Erregen öffentlicher Aufmerksamkeit in den Medien das einzige „Macht“mittel ist, dass die sozialen Bewegungen in Brasilien im Kampf gegen eine kleine Machtelite haben, die ihre Interessen leider immer noch sehr effektiv durchsetzen kann.

Laut Sette Câmara hat die Polizei aus dem Massaker von Eldorado dos Carajás gelernt – das wäre ja zumindest ein kleiner Lichtblick für die Zukunft. Um den Zugang zu Land und angemessener Ernährung für die Landlosen und Kleinbauern in Brasilien sicherzustellen, bräuchte es aber neben dem Verzicht auf Polizeigewalt noch eine aktivere Rolle des brasilianischen Staates bei der Durchsetzung der Agrarreform.